Herr Wacker, ein zentrales Ziel von Antrieb 4.0 ist eine herstellerübergreifende Kompatibilität für Auswahl, Inbetriebnahme, Betrieb und Service von Antrieben. Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen in der technischen Umsetzung und welche Ansätze gibt es dazu im Projekt?

In der bisherigen Welt der Anwendung von Antriebssystemen gibt es schon viele praktische Standards, die es ermöglichen, flexibel auf Änderungen zu reagieren, wie zum Beispiel beim Design, Engineering oder auch beim Service von Motoren, Umrichtern, Sensoren und Steuerungen. Das betrifft vor allem die Hardware, wo die Standardisierung vor Jahrzehnten begann. Schwierig in der Praxis ist immer noch das Handling der Daten, oftmals beispielsweise als PDF. Zudem sind Steuerungen und auch Umrichter heutzutage mit digitaler Kommunikation ausgestattet. In der Welt der Anlagen ist es so, dass viele verschiedene Geräte verschiedener Hersteller zum Einsatz kommen und eine digitale Kommunikation auf der IT-Ebene über Umwege oder gar nicht erfolgt. Das Projekt hat das Ziel, Interoperabilität herstellerübergreifend auf der Basis von digitalen Standards zu zeigen. Darauf aufbauend lassen sich viele Use Cases realisieren. So kann sich zum Beispiel ein Betreiber im Asset Management viel Zeit beim Suchen von Informationen sparen.

Im Zuge des Projekts soll also ein geteilter Datenraum für eine horizontale Integration und systemübergreifende Sammlung von Daten entstehen. Wie sehen die aktuellen Anforderungen dafür aus?

Zunächst einmal geht es eher um das Asset Management und weniger um die Automatisierungskomponente. Das Asset Management soll herstellerunabhängig und dezentral unabhängig von der Lokation der installierten Assets möglich sein. Dezentral bedeutet, es könnte in der gleichen Fabrik oder auch an jedem anderen Standort der Welt sein. Das Asset Management ist in der Regel nicht zeitkritisch. Daher wird es oftmals über eine separate IT-Kommunikation gemanagt, die auch noch eine zusätzliche Kommunikations-Hardware beinhaltet. Im Projekt soll daher untersucht werden, wie OT (Operational Technology, z. B. über den Automatisierungsbus) und IT (Information Technology, z. B. über Local Area Networks) vereinigt werden könnten, damit sich beispielsweise die Hardware-Infrastruktur verringert.  Dies addiert aber gleichzeitig die Komplexität in der Sicherheit: Safety hinsichtlich Funktionalität und Cybersecurity in Bezug auf Datensicherheit.

Das Forschungsprojekt versteht sich auch als Türöffner für zukunftsfähige Geschäftsmodelle. Welche Chancen eröffnet dies der Branche allgemein?

Elektrische Antriebe besitzen mit ihrer Umrichterkomponente sehr viele Daten, die Informationen über sich selbst – das Asset – oder den Prozess liefern, mit dem eine Maschine angetrieben wird. Mit Sensoren ausgestattet, lassen sich noch mehr Informationen ermitteln. Durch die gezielte Verwendung dieser Daten bzw. Informationen lassen sich Performance Indikatoren ableiten, die einen bestimmten Nutzen beweisen können, wenn die eine oder andere Optimierung durchgeführt wird. Es entsteht eine gewisse Transparenz und Messbarkeit, die allen Stakeholdern Vorteile bieten, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Erst zu diesem Zeitpunkt ist die Umsetzung neuer Geschäftsmodelle sinnvoll, wie z. B. das Performance-Contracting zur Reduzierung des Energieverbrauches und damit des Product Carbon Footprint.

Bei Siemens zeichnen Sie als Principal Key Expert „Technologie und Innovation verantwortlich. Welches Expertenwissen bringen Sie als assoziierter Partner in das Forschungsprojekt ein?

Seit dem Jahr 2014 bin ich in der Digitalisierung sowohl von Produkten, die an Kunden ausgeliefert werden, als auch der Digitalisierung zur Herstellung dieser Produkte aktiv beteiligt. In der Digitalisierung geht es immer auch um Transformation von Geschäftsmodellen, die auf einer Use Case Modellierung basieren. Digitalisierung kostet Aufwand, ein Kosten-Nutzen-Verhältnis ist daher relevant. Im ZVEI Whitepaper „Antrieb 2030 – Zwölf Thesen“ haben wir als Autoren Szenarien entwickelt, welche die Transformation von Geschäftsmodellen perspektivisch bis zum Jahr 2030 durchleuchten. Dabei sind die Diskussionsergebnisse nicht nur für die Antriebstechnik denkbar, sondern lassen sich auch auf andere Produkte oder Geschäfte in anderen Branchen und Sektoren übertragen. Antrieb 4.0 baut nun auf den Erkenntnissen aus diesem Whitepaper auf.

Herr Wacker, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Über Siemens, Business Unit Motion Control (MC)

Die Siemens Business Unit Motion Control (MC) ist einer der weltweit führenden Anbieter von Produkten, Systemen, Lösungen und Dienstleistungen auf dem Motion-Control-Markt. Das Unternehmen beschäftigt rund 12.000 Mitarbeiter und verfügt über drei Geschäftsbereiche: General Motion Control (GMC), Machine Tool Systems (MTS) und Service (CS MC). Mit Fabriken, F&E- und Servicestandorten ist das Unternehmen in der Nähe der Kunden und in den unterschiedlichsten Branchen zu Hause.